Igelnotfall: Sichern & erste Maßnahmen

Verletzungen durch Rasenmäher

Ein Igel ist als hilfsbedürftig aufgefallen, z. B. weil er tagaktiv war, hilflos herumlag oder Verletzungen aufwies bzw. bereits von Fliegen umlagert wurde? Das ist jetzt zu tun:

Das Tier sichern

Das allerwichtigste ZUERST: Den Igel sichern!

Das geht wunderbar mit Gartenhandschuhen. Ist nichts anderes zur Hand oder droht das Tier fortzulaufen, am besten aus etwas Entfernung ein Tuch, Jacke, Pulli, T-Shirt o.ä. auf das Tier werfen. Das Tier wird sich ducken/zusammenrollen und kann mitsamt des Stoffs vorsichtig umfasst und aufgenommen werden.

Sofort handeln, denn ein Zuwarten ist fast immer fatal! Selbst ein eben noch hinfälliges, apathisches Tier rafft sich oft bei empfundener Gefahr mit einer letzten Kraftanstrengung auf und verschwindet auf Nimmerwiedersehen (und stirbt dann im Verborgenen elendig).

Zustands-Check: Erste Begutachtung

Nehmen Sie den Igel sicher in die Hände und schauen Sie ihn von allen Seiten gründlich an. Dieser erste Check dient dazu, das Tier auf die typischen äußeren Krankheitssymptome abzuklopfen. Dabei geht man wie folgt vor:

1. Kraft/Körperspannung

Kann das Tier sich noch kräftig einrollen? Oder hängt es eher wie ein Schluck Wasser apathisch in der Hand?

2. Körperform & Gewicht

Hat das Tier eine normale Körperform oder ist es zu mager, hat einen Hungerknick, eingefallene Flanken u.ä.? Wenn möglich das Tier einmal wiegen — für die Suche nach Beratung und Hilfe kann die Nennung des Gewichts hilfreich sein. WICHTIG: Gewichts-Pauschalangaben a la „500 g? Kann wieder raus!“ sind oft tödlich falsch — entscheidend ist IMMER die Körperform!

3. Wunden/Geruch

Sind Wunden zu sehen? Beispielsweise am Kopf, im Stirnbereich oder an den Füßen. Steht und geht das Tier auf allen vier Füßen oder hinkt es?

Weil eiternde Wunden oft sehr versteckt sind und unter braunen Krusten häufig auch kaum sichtbar, hilft es, an dem Tier zu schnuppern: Eiter hat einen sehr charakteristischen, richtig üblen Geruch. Ein unverletzter und gesunder Igel riecht leicht erdig, wie Waldboden.

4. Fliegen, Fliegeneier und/oder Maden auf dem Tier

Schwache Tiere werden gezielt von Fliegen gesucht und angeflogen. Die Fliegen legen unglaublich rasch ihre Eier auf die hilflosen Igel. Die Fliegeneier-Kontrolle ist lebensentscheidend, denn die bei warmem Wetter oft schon binnen Stunden schlüpfenden Maden dringen direkt nach dem Schlupf durch die Körperöffnungen (Ohren, Nase, Augen (!) und After in den Igel ein und fressen ihn von innen wie außen lebendig auf.

Eine umgehende Kontrolle auf Fliegeneier und Maden ist daher absolut zeitkritisch und entsprechende Maßnahmen lebensrettend: Die Fliegeneier sehen aus wie Miniatur-Reiskörner, die dich an dicht liegend z.T. ganz tief in das Fell und/oder zwischen die Stacheln des Igels geklebt werden. Gern rund um die Ohren sowie in die Ohren hinein, rund um das Tier in den Fellsaum, rund um den After und/oder Scheide/Penis. Bei sehr schwachen Tieren auch am Bauch und in die Achselhöhlen aller vier Beine.

Fliegeneier und Maden müssen SOFORT und als ALLERERSTES entfernt werden — hier tickt absolut die Uhr! Das geht am besten mit einer Zahnbürste oder einem Mascarabürstchen, mit einer Pinzette mit geknicktem Kopf, aber auch mit Wattestäbchen, Stift… Hauptsache ALLE Fliegeneier und Maden werden entfernt!

5. Zecken oder auch übermäßig viele Flöhe

Während ein gewisses Maß an Flöhen und auch das Vorhandensein einiger Zecken normal ist für ein Wildtier, weist eine überstarke äußere Besiedlung mit Parasiten wie Zecken, Flöhen oder auch Milben oft auf größere innere Probleme hin und ist überdies auch allein schon problematisch.

6. Vollständige Bestachelung

Ist das Stachelkleid überall dicht und ohne Lücken? Oder gibt es kahle Stellen?

7. Körpertemperatur

Nach Möglichkeit die Hand (Einmal-Handschuh tragen) vorsichtig seitlich unter den Bauch schieben und fühlen, ob sein Bauch kalt oder warm ist. Bei Unterkühlung (und nur dann!) dem Igel eine handwarme (nicht heiße!) Wärmflasche in ein altes Handtuch gewickelt anbieten. Bitte so, dass der Igel die Wärmequelle jederzeit alleine wieder verlassen kann.

8. Männchen oder Weibchen?

Während der Wurfzeit, die durch den Klimawandel mittlerweile schon im Frühjahr beginnt und bis in den Herbst anhält, besteht bei Weibchen die Gefahr, dass sie trächtig sind oder sogar hilflose Welpen zu versorgen haben. Darum ist es wichtig, bei einem gesicherten Igel das Geschlecht herauszufinden, um ggf. nach einem Nest mit Welpen suchen zu können.

Allerdings: NICHT sinnvoll ist es, einen hilfsbedürftigen Igel nur deshalb NICHT zu sichern, weil es ein Weibchen ist. Ein sterbendes Weibchen kann seinen Wurf auch nicht retten! Natürlich sollte immer nach Nest und möglichem Wurf gesucht werden — im Zweifelsfall geht aber das Leben der Mutter letztlich vor.

9. Foto machen für die Suche nach Hilfe

Weil für Igelpfleger ein Foto mehr sagt als alles andere, die Gelegenheit nutzen und Fotos machen: Am besten Fotos vom kompletten Tier stehend einmal von oben und einmal von der Seite. Auffällige Stellen (Wunden/Verkrustungen, Fliegeneier…) auch einmal detaillierter fotografieren.

Das Tier sicher unterbringen

Den Igel in einem hohen Pappkarton oder einer Kiste unterbringen. Igel können sich aufstellen und je nach Größe per Klimmzug auch glatte Wände bis 45 cm Höhe überwinden (kein Witz!). An Gittern o.ä. klettern sie problemlos noch höher.

Die Box oder der Karton muss daher mindestens 45 cm hoch sein oder einen Deckel/eine Abdeckung haben.

Die Box nur mit Zeitungspapier auslegen — kein Heu, kein Einstreu, keine Blätter, kein Katzenstreu, keine Küchenrolle-Tücher o.ä. bitte. Ein Handtuch oder Zeitungsstreifen zum Verstecken reinlegen oder ein Papphäuschen aus einem Schuhkarton o.ä. zum Schutz anbieten.

  • Bei Nutzung eines Handtuchs: Henkel/Schlaufe bitte aufschneiden oder abschneiden — Igel scharren und verfangen sich dabei sehr häufig in den Schlaufen, was zu Beinbruch oder sonstigen üblen Verletzungen führen kann.
  • Bei Nutzung eines Karton-Häuschen: Igel sind Kletterkünstler und können Häuschen als Ausstiegshilfe benutzen. Darum das Kartonhäuschen schräg schneiden oder die Höhe mit einrechnen bei der Wahl der Höhe des Umgebungskartons/der Box.

Die Box mit dem Igel bei Raumtemperatur unterbringen. Ein schwaches Tier kann seine Wärme mitunter nicht mehr gut halten bzw. die Aufrechterhaltung der Körpertemperatur kostet zu viel Kraft. Deshalb bitte kranke/schwache Tiere nicht draußen in der Kälte unterbringen, sondern bei 18-20 °C.

Zudem ist Fliegenschutz wichtig. Fliegen suchen gezielt nach schwachen Tieren (s.u.). Am wirksamsten ist es, ein großes Tuch o.ä. über die Igelbox zu werfen, so dass kein Durchschlupf für Fliegen bleibt. So hat auch das geschwächte Tier mehr Ruhe.

Futter & Wasser anbieten

Dem Tier bitte Futter und Wasser anbieten. Bei schwachen Tiere dafür auf niedrige Näpfe achten.

Soße abspülen bei minderwertigem Nassfutter
Soße abspülen bei minderwertigem Nassfutter

Als Futter eignet sich vor allem Katzen-Nassfutter. Das Katzenfutter sollte idealerweise getreidefrei sein, in der ersten Not ist aber erst einmal überhaupt Futter wichtig. Von daher kann auch anderes Katzenfutter angeboten werden — lediglich eine eventuell vorhandene Soße oder Gelee sollte man bitte unbedingt abspülen, da Igel hiervon Durchfall bekommen. Und das kann bei einem schwachen, eh schon dehydrierten Tier das Ende sein.

Alternativ kann ein mild gebratenes (noch gut feuchtes) Rührei — ohne Gewürze oder Salz — angeboten werden.

Wird das Futter nicht angerührt, kann man auch Katzen-Trockenfutter probieren. Denn Igel, die — beispielsweise wegen starker Lungenprobleme — Nassfutter oder Ei verweigern, nehmen oft noch Trockenfutter an, weil dies stärker durftet.

Hilfe suchen

Ist ein erster Eindruck über die Art der Hilfsbedürftigkeit gewonnen und das Tier mit Futter & Wasser sicher untergebracht, sollte man schnellstmöglich kompetente Hilfe suchen. Tatsächlich sind regionale Igel-Päppelstellen meist die kompetenteren Ansprechpartner als lokale Tierärzte.

Denn Igel haben leider gleich eine ganzen Haufen physiologischer Besonderheiten, die dazu führen, dass „übliche Tierarzt-Maßnahmen“ (im besten Wissen angewendet) meist leider systematisch tödlich enden für Igel. Über dieses spezielle Wissen der Unverträglichkeiten verfügen leider nur Tierärzte, die sich auf eigene Faust entsprechend weitergebildet haben. Maßgeblich sollte IMMER das Tierarzt-Handbuch von Pro-Igel sein.

Regionale Päppelstationen arbeiten meist mit igelerfahrenen Tierärzten zusammen und können einem entweder selbst Hilfe anbieten oder aber entsprechend erfahrene Tierärzte benennen.

Beratung und naheliegende Anlaufstellen findet man beispielsweise, indem man nach „Igelhilfe + [Region]“ googelt. Eine gute Methode ist es auch, in Facebook nach Hilfe zu suchen. Beispielsweise indem man in Facebook „Igel Notfall“ in die Suche eingibt und ggf. auch noch die Region zur Suche hinzufügt.

Seiteninfo

Veröffentlicht von: am 21. September 2021 @ 15:01 Uhr. Letzte Aktualisierung: 4. Juli 2022 @ 13:03 Uhr.
Kategorien: Allgemein.

2 Gedanken zu „Igelnotfall: Sichern & erste Maßnahmen

    1. Hallo Ellen,

      Pro-Igel bietet normalerweise nur Auszüge ihrer PDFs offen an. Im Fall des Tierarzt-Handbuches ist aber das komplette PDF online lesbar. Ich vermute, um es Tierärzten einfacher zu machen, auch spontan helfen zu können.

      Toll, wie ich finde!

      Herzliche Grüße
      Nicola

      PA: Ein Kauf lohnt dennoch und ist auch ein tolles Geschenk für den TA Deines Vertrauens. Allerdings: Ivomed als Empfehlung (gegen Parasiten) bitte streichen. Wir Pflegestellen haben GANZ schlechte Erfahrungen damit und sind sehr erschreckt, es als Empfehlung in diesem Buch zu finden.

Schreibe einen Kommentar

Nach oben scrollen