Vorab: Welche Voraussetzungen ein Garten mitbringen soll, damit er für eine Auswilderung geeignet ist, liest Du hier.
In deinen Garten soll ein gesundgepflegter Igel aus einer Päppelstation einziehen? Prima!
Hier liest Du, wie das Auswilderungsverfahren funktioniert und vor allem, welche Igel über welches Verfahren ausgewildert werden.
Eine Auswilderung erfolgt i.d.R. über einen Freigehege-Aufenthalt
Bis auf eine Ausnahme erfolgen alle Igel-Auswilderungen über einen mehr oder weniger langen Zwischen-Aufenthalt in einem Freigehege. Denn es macht einen Unterschied aus, ob ein Igel als Alttier bereits über viel „Lebenserfahrung“ verfügt oder ob das auszuwildernde Tier noch jung und unerfahren ist. So ist es natürlich recht einfach, einen erfahrenen Altigel in seinem angestammten Revier wieder freizulassen, während es insgesamt aufwendiger ist, ein handaufgezogenes Igelkind auszuwildern.
Überblick über typische Konstellationen und empfohlenen Auswilderungs-Modi
Wie lange der Aufenthalt im Auswilderungsgehege für einen Igel sein sollte, richtet sich vor allem also nach dem Alter des betreffenden Igels. Grob kann man folgende Regel aufstellen:
Art des Tieres | Auswilderung über Freigehege? | Dauer |
---|---|---|
Altigel in angestammtem Revier (Päppelphase war kurz) | nicht nötig | ./. |
Altigel in angestammtem Revier (Päppelphase lang/Überwinterung andernorts) | dringend empfohlen | 3-7 Tage |
Altigel in neuem Lebensraum | notwendig | 3-7 Tage |
Jungigel in angestammtem Revier | notwendig | 7 Tage |
Jungigel in neuem Revier | notwendig | 7-14 Tage |
Handaufzucht | notwendig | 14 Tage mit abschließender Kotuntersuchung |
Es kann aber auch individuelle Gründe aus dem Krankheitsverlauf des Tieres geben, die für einen längeren Auswilderungszeitraum sprechen — die abgebende Pflegestelle wird dann beraten bzw. diese Entscheidung treffen.
Grundüberlegungen zu den unterschiedlichen Auswilderungs-Modi
1. Altigel nach kurzer Abwesenheit in seinem angestammten Revier
Altigel kennen ihr Revier sehr genau. Sie haben es wie eine Landkarte im Gedächtnis eingeprägt und wissen auch nach dem monatelangen Winterschlaf meist noch, wo die angestammten Wasserstellen sind, wo sich die meisten Insekten tummeln — und wo sie ihre alternativen Nester haben (Igel haben i.d.R. mehrere Nester!).
Ist ihr Revier intakt, so können Altigel daher nach dem Gesundpflegen oft ohne lange Eingewöhnung in ihrem bestehenden Revier wieder ausgesetzt werden. Denn dank ihres Reviergedächtnisses finden sie sich hier wieder zurecht. Allerdings: Wenn der Igel lange in Pflege war und/oder zusätzlich entfernt betreut überwintert wurde, kommt es leider öfter vor, dass auch Altigel Gefahrenstellen wie Gruben oder Treppen vergessen haben. Zudem verändern sich sind über längere Zeiträume die Reviere und werden auch neu besetzt.
Deshalb wildert man nur dann durch „einfaches Freisetzen“ aus, wenn es um eine Auswilderung im angestammten Revier im Sommer und nach einer überschaubaren Päppelphase handelt.
Und so geht man vor:
- Die Auswilderung erfolgt unbedingt im Dunkeln, also (im Sommer ggf. spät) abends.
- Es wird von Sonntag Abend bis Mittwoch Abend ausgewildert, niemals direkt vor einem Wochenende oder einem Feiertag! An den Wochenenden erfolgt die meiste Gartenarbeit. Freigesetzte Igel laufen zunächst sehr viel weiter und verbringen die Tage dann häufig nur lose versteckt unter Büschen oder überhängenden Pflanzen. Hier sind sie enormer Gefahr ausgesetzt, bei Gartenarbeiten verletzt zu werden.
- Die ausgewählte Nacht sollte trocken sein. Bitte nicht bei Regenwetter auswildern, denn evtl. muss das Tier doch weiter laufen, um ein regengeschütztes Nester zu erreichen bzw. vielleicht wurden seine angestammten Nester während seiner „krankheitsbedingten Abwesenheit“ wieder besetzt und sind nicht verfügbar.
- Eine Zufütterung ist absolut wünschenswert: So hilft eine Zufütterung (mindestens in der ersten Zeit!) dem Tier, sich wieder an das freie Leben zu gewöhnen. War das Tier beim Fund unterernährt und/oder stark mit Parasiten belastet, ist darüber hinaus eine dauerhafte Zufütterung wichtig, denn dann bietet der Lebensraum offenbar zu wenig Insekten als gesunde Ernährungsgrundlage und es wäre ansonsten nur eine Frage von (kurzer) Zeit, bis das Tier erneut überparasitiert ist (siehe Fluch der Schnecken & Regenwürmer).
2. Altigel nach langer Päppelphase oder betreuter Überwinterung im eigenen Revier
War ein Altigel längere Zeit aus seinem Revier heraus und/oder war an anderem Ort in betreuter Überwinterung, sollte für ihn eine Auswilderung über Gehege erfolgen auch dann, wenn er wieder in sein altes Revier zurückgeführt wird. Denn oft hat sich das Revier in der Zeit der Abwesenheit verändert, zudem werden „leere“ Reviere neu besetzt. Dadurch sind „gemerkten“ Ressourcen wie Nester etc. mittlerweile wieder besetzt und der Igel kann nicht mehr „direkt“ in seine alten Strukturen einziehen.
Auch Gefahrenstellen werden manchmal „verlernt“. Das kann dazu führen, dass ein übergangslos freigesetzter Igel unter dem Druck, schnell Deckung, Nahrung und Unterkunft zu finden, in seiner Aufregung in Fallen wie Treppenschächte o.ä. hineinrennt.
Von daher stellt sich die Ausgangslage auch im eigenen Revier für einen lange abwesend gewesenen Altigel ähnlich dar, wie für einen Altigel in einem fremden Revier.
3. Altigel in fremdem/neuen Revier
Während Igel beim Aufwachsen und in der Jugend lernen, mit den in ihrem Einzugsgebiet vorhandenen Gefahren umzugehen (ansonsten überlegen sie schlicht nicht) und diese sozusagen in ihre „mentale Gebietskarte eingezeichnet“ mit sich tragen, sind sie beim Freilassen in einem fremden Revier zunächst ahnungslos bezüglich der Gefahrenstellen.
Daher will man vermeiden, die Tiere „kopflos losrennen“ zu lassen. Darum nimmt man sie am Aussetz-Ort zunächst für einige (z. B. 3-5 Tage) in ein Freigehege.
4. Jungigel in angestammtem Revier & Jungigel in neuem Revier
Von einem Jungigel spricht man bei Igeln, die im selben Jahr geboren wurden, aber schon selbständig allein unterwegs sind. Sie sind also noch kein ganzes Jahr alt, haben ihren Lebensraum jedoch bereits kennen gelernt. Es handelt sich also um Tiere, die als „Teenager“ in Pflege genommen werden mussten. Sie haben noch keine so umfassende „Lebenserfahrung“ wie Altigel und während des Päppelns konnten sie auch keine sammeln.
Jungigel werden häufig im Spätherbst oder Winter zu Pflegefällen, typischerweise überwintern sie dann betreut und nach diesem überwachten ersten Winterschlaf geht es schließlich darum, sie wieder auszuwildern.
Dass Jungigel auch dann nicht komplett unvorbereitet frei gesetzt werden sollten, wenn es an ihrem Fundort ist, liegt an folgenden Überlegungen:
1.) Es ist unsicher, ob die Tiere tatsächlich im Revier angestammt sind!
Bei einem Jungigel bedeutet der Fund in einem Gebiet nicht, dass das Gebiet auch tatsächlich (s)ein bereits ausgiebig erkundeter und erlernter Lebensraum ist. Denn wenn Jungigel das mütterliche Nest verlassen, bleiben sie nicht unbedingt im Revier der Mutter. Manche Jungspunde wandern aus dem Eltern-Areal aus. Werden sie nun verletzt oder krank an einem Ort aufgesammelt, kann es durchaus sein, dass sie gerade erst in diesem Gebiet angekommen waren. Das ihnen „zugerechnete“ Revier ist ihnen dann in Wirklichkeit vielleicht noch komplett fremd, sie waren gerade erst hier angekommen bzw. durchgezogen.
2.) Das Immunsystem ist weniger ausgereift als bei Altigeln
Zusätzlich kommt bei Jungigeln hinzu, dass sie insgesamt noch wenige#Handaufzuchtenr stabil sind als Altigel. Sie kommen aus ihrem ersten Winterschlaf und brauchen mitunter etwas länger, um ihr Immunsystem wieder gut hochzufahren. Sie hatten sowieso einen schwierigeren Start mit lebensbedrohlicher Erkrankung in der Jugendzeit. Damit waren sie genau in dem Lebensabschnitt in Pflege, in dem normalerweise das Immunsystem trainiert wird. Nicht selten können sich dann beim „Wechsel in die Draußenwelt“ noch einmal gesundheitliche Probleme einstellen.
3.) Eine Bindung an eine Futterstelle ist wichtig
Und schließlich haben viele Jungigel durch die Insektenknappheit eine falsche Futterprägung erhalten. Sie neigen deshalb vielleicht allzu leichtfertig dazu, Schnecken und Regenwürmer zu fressen. Deshalb ist es besonders wichtig, dass sie eine sichere Futterstelle kennen lernen. Also einen Ort, wo ein Futterhaus steht und sie auch bei ausbleibendem Jagderfolg satt werden können, ohne Schnecken & Regenwürmer fressen zu müssen.
Von der Entwicklungsstufe her stehen Jungigel genau an der Gabelung, an der die Natur aufwachsende Wildtiere „sortiert“: Wer entkommen allen Gefahren und schafft den Sprung ins Erwachsenen und wer scheitert? Dieses Aussieben ist in der Natur normal, nur wenige Nachkommen schaffen es über das erste Jahr hinaus.#Handaufzuchten
Allerdings: Nachdem sich ein*e Päppler*in viel Mühe gegeben hat, den Pflegeigel zu retten, möchte man die Chancen so stark wie möglich erhöhen, dass das gepflegte Tier die Schicksalsgabelung heil meistert!
5. Handaufgezogene Igelwelpen auswildern
All diese Überlegungen treffen auf handaufgezogene Igelwelpen um so mehr zu: Ihr Immunsystem ist i.d.R. noch komplett untrainiert und Erfahrungen mit den Herausforderungen und Gefahren der Natur haben die Igelbabys nicht machen können.
Handaufzuchten werden daher grundsätzlich für eine längere Zeit — i.d.R. zwei Wochen — in einem Freigehege beobachtet. In dieser Zeit ist es auch gut, wenn man ihnen nicht nur Katzenfutter anbietet, sondern immer mal wieder auch Insekten im Gehege verteilt. So gewöhnen sich die Tiere daran, Insekten als gesunde Futtertiere anzusehen.
Zum Ende der Zeit im Freigehege sollte bei Handaufzuchten auch noch einmal der Kot auf Parasitenbefall kontrolliert werden, bevor man die Zwerge schließlich loslaufen lässt.
Der Zweck des Freigeheges
Welche Rolle spielt das Freigehege bei der Auswilderung?
Was genau ist der Grund, warum man bei der Auswilderung bevorzugt einen Aufenthalt in einem Freigehege vorschaltet? Der Hauptgrund ist, dass man nicht möchte, dass das freigesetzte Tier sich in einer Art „Kopflosigkeit“ davon macht und dabei besonders großen Gefahren aussetzt. Hier steuert man mit einem „Zwischenhalt“ gegen:
Da sich Igel stark über Gerüche und Geräusche orientieren, bauen die Tiere in der Zeit im Freigehege bereits eine Bindung an ihren Freilassungs-Ort auf. Sie prägen sich dabei die Gerüche und die Geräuschkulisse — auch im Tageswandel — ein. Gleichzeitig gewöhnen sie sich an das ihnen in ihrem Gehege zur Verfügung gestellte Wohnhaus und merken sich, dass und wo sie gefüttert werden.
Wird nach einigen Tagen dann das Gehege geöffnet, kann der Igel mit größerer Ruhe sein neues (oder teilweise vergessenes) Revier erobern: Mit einem gewohnten, sicheren Wohnhaus als potentiellem Rückzugsort bei schlechtem Wetter oder Bedrohung durch Feinde und mit einer bekannten, zuverlässigen Futterquelle kann der Igel kleinräumigere Erkundungen unternehmen. Denn so ist er nicht darauf angewiesen, direkt im weiteren Umfeld nach geeigneten Nest-Orten zu suchen. Er kann nicht so leicht vertrieben werden und auch kein übermäßiger Hunger treibt ihn womöglich weitere Wege, als ihm anfangs gut täte.
Natürlich: Viele Igel verlassen das Gehege dennoch sofort, ohne gleich wieder zurückzukehren. Es sind immerhin Wildtiere und folgen ihrem Instinkt. Der Unterschied ist: Das ist dann eine aus eigenem Instinkt getroffene „Entscheidung“, sie sind nicht durch widrige Umstände dazu getrieben.
Und bei Jungtieren und noch mehr bei Handaufzuchten kommt noch der Grund der oft geringen gesundheitlichen Robustheit dazu: Bei ihnen ist nach dem Päppeln das noch junge Immunsystem oft „untertrainiert“. In dem Moment, in dem die Jungtiere dann ins Freigehege kommen und hier mit den normalen gesundheitlichen Herausforderungen in Kontakt kommen, fährt ihr Immunsystem erst wieder (bzw. bei Handaufzuchten sogar erstmals!) richtig hoch. Diese Phase können beispielsweise Parasiten nutzen, um (erneut) hochzuwachsen. Manche Jungtiere werden dann noch einmal krank.
Im Freigehege sind die Tiere aber unter Kontrolle und mögliche Gesundheits-Probleme können sofort erkannt werden. Zudem verhindert die zuverlässige Fütterung, dass die Igel sofort (wieder) anfangen, sich Schnecken und Regenwürmer einzuverleiben. Das Immunsystem bekommt durch die Vollpension im Gehege sozusagen für die kritischen ersten 10-14 Tage „den Rücken freigehalten“.
Hier liest Du, wie die Auswilderung über Gehege konkret abläuft und was dafür an Materialien benötigt werden.