Gesunde Ernährung

Ein Laufkäfer

Gesundheit beginnt mit ausreichendem und artgerechten Futter — das ist bei Tieren nicht anders als beim Menschen. Und auch der Umkehrschluss stimmt: Ohne ausreichend gesundes Futter, werden Igel krank. Aber was fressen Igel eigentlich?

Igel sind Insektenfresser (Insectivoren).

Durch den dramatischen Insektenmangel sind Igel mittlerweile fast flächendeckend unterernährt und/oder fehlernährt

Insektenfresser sind i.d.R. hochgradig spezialisiert und so ist es auch beim Igel:

Sein Gebiss ist darauf ausgelegt, die harten Körperschalen von Käfern etc. zu knacken. Dafür hat er ein typisches Insektivoren-Gebiss aus Zähnen mit spitzen Spitzen.

Blick auf das Gebiss eines Braunbrustigels
Blick auf das Gebiss eines Braunbrustigels

Mahlende Zähne, wie sie nötig wären, um pflanzliche Kost aufschließen zu könnten, fehlen ihm dagegen komplett. Somit kann er pflanzliche Kost gar nicht ausreichend zerkleinern, damit sie überhaupt verdaut werden könnte.

Kurzer, gerader Darm

Zudem ist auch sein Verdauungssystem darauf optimiert, mehr oder weniger reine Proteinnahrung zu verdauen. Denn Insekten bestehen zum größten Teil aus reinem Protein sowie Fett. Beides kann direkt im Darm aufgenommen werden, ohne dass es eines aufwendigerem Verdauungsprozesses bedarf.

Darmtrakt eines afrikanischen Igels (Atelerix albiventris).
Darmtrakt eines afrikanischen Igels (Atelerix albiventris): 1 Speiseröhre, 2 Magen, 3 Dünndarm, 4 Mesenterium, 5 Dickdarm (Quelle)

Der Darm eines Igels ist darum sehr stark verkürzt und wenig gewunden: Wo ein Pflanzenfresser einen extrem langen und verwundenen Darm benötigt (und tw. noch Zusatzmägen wie das Rind), um die Nährstoffe aus pflanzlichem Material verdauen zu können, kommt der Igel mit einem kleinen Magen und fast geraden „Kurzdarm“ aus.

Allerdings bedeutet dies auch: Futter, das eine aufwendigere Verdauung benötigt, kann der Igel nicht verwerten. Die in Obst, Gemüse oder gar Getreide enthaltenen Nährstoffe gehen mehr oder minder unverdaut 1:1 hinten wieder raus, ohne dass der Igel davon etwas hat.

Pflanzliche Nahrung kann nicht verdaut werden

Um sich gesund zu ernähren, braucht ein Igel also wirklich Insekten. Spezialisiert hat sich unser europäischer Braunbrustigel dabei vor allem auf (nachtaktive) Laufkäfer und deren Larven, Engerlinge, Raupen etc.

Die „Insektenfraktion“ sollte dabei den größten Anteil in seinem Nahrungsgemisch ausmachen.

So zeigten Untersuchungen an Igelmägen aus den 80er Jahren — also aus Zeiten, in denen es noch gesunde Insektenpopulationen in Deutschland gab — dass Igel in Deutschland ihre Energie zu 98 % aus Insekten gewannen:

Chart zur Ernährung deutscher Braunbrustigel
Chart zur Ernährung deutscher Braunbrustigel (Quelle: Marc Baldwin, https://www.wildlifeonline.me.uk/)

Regenwürmer machten lediglich 8 % der Gesamt-Energiemenge aus, Schnecken trugen gar nur zu 1 % zur Energieaufnahme bei. Stattdessen basierte die Ernährung unserer Igel zu etwas gleichen Teilen auf Käfern und Käfer-Larven/Engerlingen (zusammen 41 %) sowie Raupen (43 %). Hinzu kamen Maden und Ohrenkneifer.

Wo sich Gelegenheiten bieten, fressen Igel zudem auch kleinere Wirbeltiere wie Amphibien, Reptilien inkl. Schlangen — aber auch Mäuse-/Rattennester werden von ihnen geplündert sowie nachts unvorsichtig am Boden sitzende Jungvögel erlegt.

Solche einzelnen Jagderfolge ändern allerdings nichts daran, dass die regelmäßige Ernährung der Europäischen Braunbrustigel auf Insekten als Grundlage fußt.

Dramatischer Insektenschwund verursacht Igelleid

Leider sind seit einigen Jahren Insekten (nicht nur) in Deutschland praktisch flächendeckend geradezu verschwunden:

Die Zahl der Insekten in Deutschland ist nicht nur zurückgegangen, sie ist regelrecht eingebrochen: Dreiviertel aller Fluginsekten ist im Verlauf von nicht einmal dreißig Jahren verschwunden, so dass schockierende Ergebnis einer der relevantesten Studien zum Thema: In nur 27 Jahren nahm die Gesamtmasse der gezählten Insekten um 76 Prozent ab, berichten Wissenschaftler aus Deutschland, Großbritannien und den Niederlanden im Fachmagazin „PLOS ONE“ im Oktober 2017.

Quelle: https://www.br.de/rote-liste/insekten-insektensterben-insektenschwund-bienen-schmetterlinge-grillen-kaefer-100.html

Was also bleibt einem Insektenfresser übrig, wenn seine Hauptnahrung verschwindet? Er erhöht notgedrungen den Anteil in seinem Nahrungsgemisch, der noch vorhanden ist. Im Fall des Igels sind das vor allem die Regenwürmer und Schnecken und so sehen wir, dass schon Igel-Welpen heutzutage oft direkt von der Muttermilch zu einer Ernährung mit dem Schwerpunkt auf Schnecken und Regenwürmern übergehen.

Das hat furchtbare Folgen!

Denn erstens ist die Nährstoffversorgung der Igel durch Schnecken und Regenwürmer schlecht: Beide sind deutlich schwieriger zu verdauen, enthalten schlechter zugängliche Proteine und im Vergleich zu Raupen und Käfern kaum Fett.

Dies bedeutet, dass die Igel durch diese ungesunde „Notkost“ nicht nur fehlernährt sind, sondern insgesamt unterernährt bleiben und Defizite behalten. Dies führt zu einer dauerhaften Belastung ihren Immunsystems.

Doch es kommt noch schlimmer:

Beide Tiergruppen — Schnecken wie Regenwürmer — sind Überträger von für den Igel gefährlichen Parasiten.

Darmhaarwurm-Ei
Darmhaarwurm-Ei, Igel-Kot, 400fach, © Nicola Straub

So sind Regenwürmer Zwischenwirt bzw. Reservoir für Haarwürmer (Capillaria). Haarwürmer sind Innenparasiten des Darmes (Darm-Haarwürmer, C. erinacei, C. ovoreticulata) sowie der Lunge (Lungenhaarwurm, C. aerophila). Fast jeder Regenwurm enthält die Eier dieser parasitischen Würmer aus der Gruppe der Nematoden.

Frisst ein Igel Regelwürmer, so nimmt er dabei die Haarwurmeier auf. Im Igel schlüpfen die Eier und die Parasiten wandern in die Lunge ein bzw. setzen sich in der Darmwand fest, wo sie dann parasitieren.

Schnecken wiederum sind Zwischenwirte für Lungenwürmer (Crenosoma striatum). Auch diese sind weit verbreitet so dass es für Igel unvermeidbar ist, beim Fressen von Schnecken diese Parasiten aufzunehmen. Wie der Name schon sagt, wandern auch die Larven der Lungenwürmer in die Lungen der Igel ein und parasitieren dort.

Mit beiden Gruppen von Endoparasiten kommt ein gesunder Igel normalerweise ganz gut zurecht. Dies liegt u.a. daran, dass sich Igel und Parasit bereits „seit Ewigkeiten“ kennen: Sie sind seit langem evolutionär miteinander verbunden und der Igel hat somit Mechanismen entwickelt, mit diesen Parasiten klar zu kommen.

Allerdings: Dies gilt allerdings nur für gesunde, erwachsene Igel mit einer Ernährung, in der nur vereinzelt „Parasitenlieferanten“ vorkommen!

Vom Welpenalter an auf Leidenskurs

Muss sich also — wie es die Not heutzutage erfordert — ein Igel bereits von klein auf schwerpunktmäßig auf der Basis von Schnecken und Regenwürmern ernähren, ist er unter- & fehlernährt, hat ein deutlich geschwächtes Immunsystem UND nimmt zudem mit praktisch jedem Bissen mehr und mehr Parasiten auf.

Dieser Teufelskreis aus Fehlernährung und hohem Infektionsdruck durch Parasiten, ist selbst für ein an sich starkes Wildtier wie den Igel nicht mehr tolerierbar. Er wird schwer krank!

Hinzu kommt, dass natürlich auch Igelmütter von Schwächung und Parasitosen betroffen sind. So gelingt es kaum einer Igelmutter heute noch, ihre Welpen über die typischerweise vergleichsweise lange Zeit ausreichend zu säugen. Statt — wie es normal wäre — erst mit 200-250 g anzufangen, sich von Insekten zu ernähren, müssen Igelwelpen heute schon extrem früh zusehen, an eigene Nahrung zu kommen. Und natürlich besteht diese dann auch wiederum hauptsächlich aus Schnecken und Regenwürmern. Und schließlich kommt auch noch dazu, dass infizierte Muttertiere über Schmierinfektionen beim Säugen die Parasiten an ihre Babys weitergeben können. Dabei gilt ebenfalls: Je stärker parasitiert das Muttertier ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass Welpen angesteckt werden.

Als wäre das nicht bereits schlimm genug, trat vor einigen Jahren nun noch ein weiterer, neuer Parasit in den Ring: Der Darmsaugwurm (Brachylaemus erinacei).

Tödlicher Darmsaugwurm

Darmsaugwurm (Brachylaemus) Ei
Darmsaugwurm-Ei, Igel-Kot, 400fach, © Nicola Straub

Dieser in Deutschland lange Zeit nur im Norden aufgetretener Trematode ist mit dem Leberegel verwand. Wie dieser entwickelt er sich über mehrere Zwischenstadien (Ei, Mirazidien, Zerkarien, Adulter Saugwurm) und benötigt dabei Schnecken als Zwischenwirt.

Mittlerweile ist der Darmsaugwurm nicht mehr nur im Norden, sondern in ganz Deutschland verbreitet. Dabei hat sich nicht nur das Gebiet erweitert, in dem der Darmsaugwurm vorkommt, sondern auch die Menge der Saugwürmer in ihren Verbreitungsgebieten. So waren beispielsweise noch 2019 im Kölner Raum nur etwas jeder siebte in Päppelstationen aufgenommene Igel mit dem Darmsaugwurm infiziert, in 2021 waren jedoch bereits mehr als 90 % aller aufgenommenen Igel betroffen (eigene Daten). Igel, die Schnecken fressen, sind damit einem sehr hohen Risiko ausgesetzt, sich mit diesem Trematoden zu infizieren.

Das Schlimme daran: Darmsaugwurm und Europäischer Braunbrustigel sind kaum aneinander angepasst. Aus der Infektion mit dem Darmsaugwurm resultieren extrem starke Darmentzündungen, die unbehandelt schließlich (oft auch sehr schnell) zum Tode führen. Damit ist der Brachylaemus mittlerweile deutschlandweit zu einer ernsten Bedrohung für die Igel-Bestände geworden!

Igel vor dem Aussterben

Tatsächlich sind die Bestände an Igeln zuletzt dramatisch geschrumpft und erste Stellen warnen konkret davor, dass er aussterben könnte.

Zufütterung durchbricht den Teufelskreis

Was kann man also tun, um die Igel vor dem Aussterben zu bewahren? Der wichtigste Schritt wäre es, Gärten und Landwirtschaft wieder insektenfreundlicher zu gestalten. Denn auf lange Sicht kommt nicht nur der Igel ohne gesunde Insektenpopulationen nicht aus — letztlich schädigen auch wir Menschen uns selbst.

Und hier kann jeder aktiv werden, der einen Garten besitzt oder nutzt. Laub, Totholz, verwilderte Nischen schaffen gleichermaßen Lebensraum für Igel wie auch für Insekten und kleine Wirbeltiere.

Glücklicherweise ist an manchen Stellen bereits ein erstes Umdenken spürbar, wenn beispielsweise Grünflächenämter in Parks mehr Strukturen zulassen oder Gemeinden Schottergärten verbieten. Leider hilft dies jedoch erst langfristig.

Kurzfristig bleibt nur, den Teufelskreis von Fehlerernährung und Parasiten-Aufnahme zu durchbrechen. Und dies geht nur mit Zufütterung!

Ähnlich wie man es mit Vögeln schon ewig macht, nämlich Futterhäuser aufzustellen und zu bestücken, sollten Gartenbesitzer heutzutage darum Igel-Futterhäuser aufstellen und darin ihren stacheligen Gartengästen eine gesunde Zufütterung anbieten.

Kopfbild: Kathy Büscher via Pixabay

Foto Igel-Darmtrakt: Alhaji Girgiri, Ibrahim & Gambo, Baba & Ibrahim, Bulama & BWALA, ARHYEL. (2015). Morphometric studies of some visceral organs and gastrointestinal tract of four-toed african hedgehog (Atelerix albiventris). Journal of Morphological Sciences. 32. 29-32. 10.4322/jms.071014 via ResearchGate unter Lizenz Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International.

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Seiteninfo

Veröffentlicht von: am 31. August 2021 @ 12:44 Uhr. Letzte Aktualisierung: 14. März 2023 @ 01:47 Uhr.
Kategorien: Allgemein. Schlagworte:

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